6

 

Langsam wurde Elise wach. Sie fühlte sich, als wäre ihr Bewusstsein an einen weit entfernten, ruhigen Ort gebracht worden und kehrte nun in ihren Körper zurück, so leicht wie eine Feder auf einer sanften Brise. Vielleicht war es ein Traum. Ein langer, wunderbarer Traum … Sie empfand einen Frieden, wie sie ihn seit Monaten nicht mehr gespürt hatte. Sie streckte sich ein wenig auf ihrem Futon, ihre nackten Beine rieben gegen den Frotteestoff ihres Morgenmantels und die weiche Last einer Decke, in die sie von Kopf bis Fuß eingemummt war. Sie kuschelte sich tiefer in die angenehme Wärme und seufzte wohlig, doch dann schreckte sie das Geräusch ihres eigenen Atems auf.

Kein Lärm.

Keine dröhnende Musik, kein plärrender Fernseher, obwohl sie doch ohne sie weder schlafen noch funktionieren konnte.

Sie riss die Augen auf und wappnete sich gegen den Ansturm böser Gedanken, der sie gleich umwerfen würde. Doch da war nur Ruhe. Herr im Himmel. Sekunden verstrichen, dann eine volle Minute oder mehr … und da war nichts als segensreiche, wunderbare Stille.

„Gut geschlafen?“

Die tiefe Männerstimme kam aus einer anderen Ecke der Einzimmerwohnung. Elise roch frischen Toast und den buttrigen Duft von Eiern, die in der Pfanne brutzelten. Tegan stand an ihrem armseligen Küchenblock und war offenbar dabei, Frühstück zu machen. Was den Morgen noch surrealer machte, als er sowieso schon war.

„Was ist passiert?“ Ihre Stimme war ein heiseres, kehliges Krächzen. Sie räusperte sich und fing noch einmal von vorne an.

„Was machen Sie hier?“

Oh Gott. Er brauchte gar nicht zu antworten, denn sobald sie die Worte ausgesprochen hatte, fiel ihr auch schon wieder alles ein. Die Migräne, die sie außer Gefecht gesetzt hatte, Tegan, der sie gefunden hatte, weil er ihr nach dem Zusammenstoß mit den Rogues gefolgt war, und seine unerwartete Rückkehr einige Stunden später. Aus irgendeinem Grund war er zurückgekommen und in ihre Wohnung eingebrochen. Hatte den abschirmenden Lärm abgestellt, den sie so dringend brauchte.

Elise erinnerte sich, wie sie in Höllenqualen aufgewacht war. In einer Flut von Scham und Demütigung erinnerte sie sich daran, wie sie in blinder Hysterie am Fenster zusammengebrochen war, beim Versuch, die Schalldämmung zu reparieren; die inzwischen wieder ordentlich an ihrem Platz war, wie sie jetzt bemerkte.

Und sie erinnerte sich auch an das Gefühl, in eine beruhigende Benommenheit gewiegt zu werden …

Von Tegan?

Elise hielt ihren Morgenmantel zusammen, schob die Decke zur Seite und setzte sich vorsichtig auf dem Futon auf. Sie traute ihrer Umgebung immer noch nicht, rechnete jede Sekunde mit einem quälenden Ansturm der Gedanken anderer Menschen.

„Was haben Sie letzte Nacht mit mir gemacht?“

„Du hast Hilfe gebraucht, also habe ich dir geholfen.“

So wie er das sagte, an die Arbeitsfläche neben der Kochplatte gelehnt, und sie so kühl und distanziert ansah, klang es wie eine Anklage. Immer noch trug er seine nächtliche Kampfmontur: ein schwarzes Strickhemd und eine schwarze Hose. Sein ledernes Pistolenhalfter und der mit schrecklichen Messern und Dolchen gespickte Gürtel lagen neben ihm auf der Küchenablage.

Elise hielt dem scharfen, abschätzenden Blick stand, der über den Raum hinweg auf sie gerichtet war. „Haben Sie mich irgendwie betäubt?“

„Nur eine leichte Trance, damit du schlafen konntest.“

Sie ballte die Fäuste um die Aufschläge ihres Bademantels, plötzlich wurde ihr nur zu bewusst, dass sie unter dem weich fallenden Frotteestoff überhaupt nichts anhatte. Letzte Nacht hatte dieser Krieger sie in einen erzwungenen Schlaf versetzt, sodass sie ihm vollkommen ausgeliefert war? Bei diesem Gedanken durchzuckte sie wilder Schrecken.

Tegan musste ihren Blick gesehen und richtig gedeutet haben, denn prompt sah er ein wenig säuerlich drein. „Also betrachtet ihr Leute aus den Dunklen Häfen uns Ordenskrieger nicht nur als kaltblütige Killer, sondern auch als Vergewaltiger?

Oder ist diese Auszeichnung mir allein vorbehalten?“

„Sie haben mir nie etwas getan“, sagte Elise. Sie fühlte sich mies, weil sie sich ihm gegenüber so offensichtlich von eingefleischten Vorurteilen leiten ließ. „Wenn Sie mir etwas hätten antun wollten, hätten Sie das inzwischen wohl schon längst getan.“

Er zog eine spöttische Grimasse. „Solch eine uneingeschränkte Vertrauensbekundung. Da sollte ich mich wohl geschmeichelt fühlen.“

Das war der Punkt, an dem Elise erkannte, dass sie ihren förmlichen Umgangston ablegen musste. Was wollte sie noch mit ihren gesellschaftlichen Konventionen? Schließlich hatte sie die Dunklen Häfen ein für alle Mal hinter sich gelassen. „Ich sollte dir wohl eher danken, Tegan“, antwortete sie. „Du bist mir letzte Nacht zwei Mal zu Hilfe gekommen. Und ich habe mich auch noch nicht bei dir für deine Freundlichkeit bedankt, als du mich aus dem Hauptquartier des Ordens nach Hause gefahren hast.“

„Vergiss es“, sagte er und zuckte mit einer breiten Schulter, als ob das Thema längst abgeschlossen war, noch bevor sie überhaupt eine Chance hatte, es anzusprechen.

Jener Novemberabend hatte sich unauslöschlich in Elises Erinnerung eingebrannt, sie dachte immer noch oft daran. Nachdem sie Camden in den Überwachungsvideos gesehen hatte, die der Orden aufgenommen hatte, hatte sich Elise in einen der vielen Gänge des Hauptquartiers geflüchtet. Fassungslos, durcheinander, vollkommen außer sich, in einem Zustand von Schock und Nichtwahrhaben-Wollen, war es Tegan gewesen, der sie schließlich gefunden hatte. Unglaublicherweise war es ausgerechnet Tegan gewesen, der sie aus dem Hauptquartier geführt und in den frühen Morgenstunden vor Sonnenaufgang in ihren Dunklen Hafen gefahren hatte.

Ihr Tränenstrom, der einfach nicht versiegen wollte, war ihr so unsagbar peinlich gewesen. Aber er hatte sie weinen lassen, und, noch untypischer für ihn: Als sie an seiner Schulter zusammengebrochen war, hatte er sie in ihrem Kummer ruhig und fest im Arm gehalten, so lange, bis sie sich ausgeweint hatte. Mit seinen starken Armen hatte er sie zusammengehalten, als ihr Kummer sie innerlich in Stücke riss.

Er konnte nicht wissen, dass er in jener Nacht ihr Fels in der Brandung gewesen war. Vielleicht hatte es ihm nie etwas bedeutet, aber sie würde seine unerwartete Sanftheit nie vergessen. Als sie schließlich die Kraft gefunden hatte, aus dem Wagen zu steigen, hatte Tegan nur zugesehen, wie sie ging, und war dann vom Bordstein und aus ihrem Leben gefahren … bis letzten Abend in dieser Seitengasse, als er sie vor den Rogues gerettet hatte.

„Die Trance, in die ich dich gestern Abend versetzt habe, ist immer noch wirksam“, sagte Tegan jetzt, offenbar entschlossen, das Thema zu wechseln. „Darum ist deine Gabe immer noch gedämpft. Die Blockierung wird halten, solange ich hier bin und sie aufrechterhalte.“

Er verschränkte die Arme über der Brust und zog damit ihren Blick auf das komplizierte Muster der Dermaglyphen, die seine Unterarme hinaufliefen und in den kurzen Ärmeln seines TShirts verschwanden. Im Allgemeinen fungierten die Glyphen bei Stammesvampiren als Gefühlsbarometer, doch die von Tegan waren momentan nur eine Schattierung dunkler als sein goldener Hautton und verrieten nichts über seine Stimmung.

Elise hatte die beeindruckenden Stammeszeichen auf seiner Haut einmal zuvor gesehen, damals, vor einigen Monaten, als sie im Hauptquartier des Ordens zum ersten Mal mit ihm geredet hatte. Sie hatte ihn nicht anstarren wollen, aber es war schwer, die wirbelnden Bögen und eleganten, verschlungenen geometrischen Muster nicht zu bestaunen, die Tegan als einen der Ältesten seines Stammes auswiesen. Er war ein Stammesvampir der ersten Generation; wenn seine außergewöhnlichen Kräfte ihn nicht als solchen erkennbar machten, taten das umso deutlicher die Ausdehnung und Komplexität seiner Glyphen.

Aber die Tatsache, dass er Gen-Eins war, machte ihn auch am empfindlichsten gegenüber Einflüssen wie Sonnenlicht, das um diese Tageszeit eine handfeste Bedrohung darstellte.

„Es ist schon nach neun“, sagte sie, für den Fall, dass es ihm entgangen war. „Du bist die ganze Nacht hiergeblieben.“

Als Antwort drehte sich Tegan nur um und schaufelte Rührei auf einen Teller. Er stellte die elektrische Herdplatte ab, ließ eine fertige Toastscheibe hochschnellen und legte sie dazu.

„Komm rüber und iss, solange es warm ist.“

Elise war nicht bewusst gewesen, wie ausgehungert sie war, bis sie an ihrem Küchenblock stand und den ersten Bissen zu sich nahm. Beim Kauen entfuhr ihr ein genüssliches kleines Stöhnen. „Oh, ist das lecker.“

„Weil du am Verhungern bist.“

Tegan ging zu dem kleinen Kühlschrank und kam mit einem Proteinshake in einer Plastikflasche zurück. Außer den Eiern, Joghurt und ein paar Äpfeln war nicht viel darin zu finden. Sie hatte sich nur sehr mangelhaft ernährt, nicht aus Kostengründen, sondern weil es schwerfiel, bei solch schlimmen Migräneanfällen ans Essen zu denken. Seit sie den Dunklen Hafen verlassen hatte, hatte sie die täglich - und jeden Tag, den sie hinaus unter Menschen auf Lakaienjagd ging, wurden sie schlimmer.

„Du hältst das nicht lange aus, weißt du. Nicht so.“ Tegan stellte den Shake vor ihr ab und ging wieder auf seinen Posten, ans andere Ende der Arbeitsfläche gelehnt. „Ich weiß, was es mit dir macht, hier unter den Menschen zu leben. Ich weiß, wie sehr deine übersinnliche Wahrnehmung dir zu schaffen macht, Elise.

Du hast keine Kontrolle darüber, und das ist gefährlich. Es kann dich zerstören. Ich konnte spüren, was es in dir anrichtet, als ich dich vor ein paar Stunden vom Boden aufgehoben habe.“

Sie rief sich ihre ersten Begegnungen mit Tegan ins Gedächtnis, seine Berührung, die ihr das Gefühl gegeben hatte, ihm gegenüber irgendwie entblößt zu sein. Das erste Mal hatte sie die Berührung des Kriegers gespürt, als er und Dante im Dunklen Hafen aufgetaucht waren, um ihren Schwager zu suchen. Die beiden Krieger hatten Sterling vor dem Haus aggressiv zur Rede gestellt, und als Elise hinausgerannt war, um zu sehen, was die Unruhe zu bedeuten hatte, war es Tegan gewesen, der sie gepackt hatte, um sie aus der Auseinandersetzung herauszuhalten.

Jetzt, nach den Vorkommnissen der letzten Nacht, verstand er die Schwäche, die sie ihr ganzes Leben lang in den Dunklen Häfen gefangen gehalten hatte. Sie fragte sich, ob der leidenschaftslose Blick, den er auf sie gerichtet hielt, wohl bedeutete, dass er vorhatte, sie in diesen Käfig zurückzubringen.

„Auf Dauer hält dein Körper den Belastungen nicht stand, denen du dich aussetzt, Elise. Du hast nicht die körperlichen Voraussetzungen, um zu tun, was du tust.“

Sie schüttelte die Plastikflasche, die er ihr gegeben hatte, und drehte mit einem Knacken den Verschluss ab. „Ich komme schon zurecht.“

„Klar, das sehe ich.“ Er warf einen vielsagenden Blick auf die Schalldämmung, die sie im Versuch, ihre Gabe abzublocken, an die Wand getackert hatte. „So, wie du gestern Nacht ausgesehen hast, kommst du wunderbar zurecht.“

„Du musstest mir nicht helfen.“

„Ich weiß“, sagte er. Sein Tonfall und sein Gesicht waren völlig ausdruckslos.

„Warum hast du es dann getan? Wieso bist du zurückgekommen?“

Er hob eine massige Schulter. „Ich dachte, du wüsstest vielleicht gern, dass der Orden das Crimson-Labor in die Luft gejagt hat. Das Labor, die Produktionsmaterialien, die Leute, die dort arbeiteten … alles eingeäschert.“

„Oh, Gott sei Dank.“

Eine Welle der Erleichterung überkam sie wie Balsam. Elise schloss die Augen und fühlte, wie sich heiße Tränen hinter ihren Lidern sammelten. Zumindest konnte die teuflische Droge, die ihr Camden genommen hatte, nun keiner anderen Mutter mehr den Sohn rauben. Sie brauchte einen Moment, bis sie so weit ihre Fassung zurückgewonnen hatte, um Tegan ansehen zu können, und als sie es schließlich tat, sah sie, dass seine smaragdgrünen Augen auf ihr ruhten.

Sie wischte die Tränen von den Wangen. Es war ihr peinlich, dass der Krieger ihr dabei zusah, wie sie zusammenbrach. „Tut mir leid. Ich wollte nicht so emotional sein. Ich habe nur dieses … Loch in meinem Herzen, seit Quentins Tod. Und als ich dann auch noch meinen Sohn verloren habe ...“ Sie schweifte in Gedanken ab, unfähig, zu beschreiben, wie leer sie sich fühlte.

„Ich ... es tut einfach so weh.“

„Es geht vorüber.“ Seine Stimme klang abgehackt und ausdruckslos, genauso gut hätte er ihr eine Ohrfeige versetzen können.

„Wie kannst du nur so etwas sagen?“

„Weil es wahr ist. Trauer ist ein unnützes Gefühl. Je schneller du das herausgefunden hast, desto besser wird es dir gehen.“

Jetzt starrte Elise ihn mit offenem Mund an, sie war entsetzt.

„Was ist mit der Liebe?“

„Was ist damit?“

„Hast du denn nie jemanden verloren, den du geliebt hast?

Wissen Männer wie ihr, die für Mord und Zerstörung leben, denn überhaupt, was Liebe bedeutet?“

Er nahm ihren wütenden Ausbruch, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken, zur Kenntnis, sah sie einfach weiter mit einem unbewegten, unerschütterlichen Blick an, sodass sie ihn am liebsten über den Küchenblock hinweg angesprungen und geschlagen hätte.

„Iss dein Frühstück“, sagte er mit entnervender Höflichkeit.

„Du solltest dich ausruhen, solange du kannst. Sobald die Sonne untergeht, bin ich hier raus, und du bist wieder auf deine eigenen Schutzmechanismen angewiesen. So viel die wert sein mögen.“

Er ging zu dem langen, schwarzen Ledermantel hinüber, der ordentlich über dem Stepper hing, und zog mit unbewegter Miene sein Handy heraus. Als er eine Nummer wählte, verspürte Elise den absurden Drang, ihren Teller aufzuheben und ihm an den Kopf zu knallen, nur um dem steinernen Krieger eine wie auch immer geartete Reaktion zu entlocken.

Aber als sie ihm zuhörte, wie er die Zentrale des Ordens anrief, mit dieser tiefen Stimme, die so sachlich und unbewegt klang, erkannte Elise, dass sie ihn nicht so sehr unsympathisch fand, sondern vielmehr beneidete. Wie schaffte er es nur, immer so kalt und distanziert zu bleiben? Seine übersinnliche Gabe war ihrer eigenen gar nicht so unähnlich. Am gestrigen Abend hatte er ihre Qual unmittelbar erfahren, indem er sie berührte, aber im Gegensatz zu ihr hatte sie ihm nichts anhaben können. Wie schaffte er es nur, solche Schmerzen auszuhalten?

Vielleicht lag es daran, dass er Gen-Eins war. Vielleicht war es die spezielle Kraft der ersten Vampir-Generation, die ihn so undurchdringlich machte, ihn wirken ließ, als stünde er über den Dingen. Aber vielleicht war es auch Training. Wenn er es gelernt hatte, wenn das etwas war, was man lernen konnte, dann konnte es auch gelehrt werden.

„Zeig mir, wie du es machst“, sagte Elise, als er sein Gespräch beendet hatte und das Handy zuklappte.

„Wie ich was mache?“

„Du sagst, ich muss lernen, meine mentalen Kräfte zu kontrollieren, also zeig mir, wie ich das mache. Bring es mir bei. Ich will so sein wie du.“

„Nein, das willst du nicht.“

Sie ging um den Küchenblock herum zu ihm. „Tegan, zeig’s mir. Ich kann dir und dem Orden nützlich sein. Ich will helfen.

Ich muss helfen, verstehst du das nicht?“

„Vergiss es.“ Er machte Anstalten, sich von ihr zu entfernen.

„Warum? Weil ich eine Frau bin?“

In einer Bewegung, die so schnell war, dass ihr der Atem stockte, fuhr Tegan zu ihr herum und nagelte sie mit wütenden Raubtieraugen fest. „Weil es Schmerz ist, der dich antreibt, und das ist eine Schwäche, die tödlich sein kann. Du bist zu nah dran. Schwimmst zu sehr in deinem Selbstmitleid, um jemandem von Nutzen sein zu können.“

Seine Augen sprühten Feuer - und dann erlosch es plötzlich, so schnell, wie es gekommen war. Elise schluckte schwer, als sie seine schneidenden Worte in sich aufnahm. Seine Einschätzung tat weh, aber er hatte recht. Sie blinzelte langsam und schließlich nickte sie zustimmend.

„In den Dunklen Häfen bist du am besten aufgehoben, Elise.

Hier und in deinem jetzigen Zustand bist du nur eine Belastung - besonders für dich selbst. Ich sage das nicht, um grausam zu sein.“

„Nein, natürlich nicht“, stimmte sie ihm leise zu. „Grausamkeit würde ja implizieren, dass du Gefühle hast, nicht?“

Mehr sagte sie nicht. Sie sah ihn nicht einmal an, als sie ihren Teller von der Theke nahm und zur Spüle brachte.

„Was soll das heißen, es ist weg?“ Der Anführer der Rogues beugte sich in seinem Ledersessel vor, rammte die Ellenbogen auf die Platte seines riesigen Mahagonischreibtischs und legte die Fingerspitzen zusammen, während er der nervösen Stimme eines Lakaien lauschte, die aus der Freisprechanlage drang.

„Der Anruf ging gestern Abend bei der Feuerwehr ein, mein Gebieter. Es gab eine Explosion. Das ganze verdammte Lagerhaus, ist in die Luft geflogen wie eine Kiste Chinaböller. Den Typen zufolge, die den Anruf entgegennahmen, war nichts mehr zu machen. Ersten Berichten zufolge muss es eine undichte Gasleitung gewesen sein …“

Mit einem wütenden Aufknurren schnitt Marek den nutzlosen Bericht seines menschlichen Untergebenen ab und beendete das Gespräch mit einem Knopfdruck.

Nie im Leben war die Zerstörung des Crimson-Labors ein Werk des Zufalls oder gar undichten Leitungen zu verdanken.

Diese äußerst ärgerlichen Neuigkeiten sahen eindeutig nach einem Werk des Ordens aus. Das Einzige, was ihn überraschte, war, dass sein Bruder Lucan und die Krieger, die an seiner Seite kämpften, so lange dafür gebraucht hatten, um sein Labor anzugreifen. Aber schließlich hielt Marek sie ja schon seit letztem Sommer in Atem, indem er ihnen scharenweise Rogues in die Straßen schickte, mit denen sie sich herumschlagen mussten.

Und genau darauf sollte der Orden seine Aktivitäten auch weiterhin beschränken.

Man musste die Krieger mit einer Hand in Atem halten, damit man die andere frei hatte, um unbemerkt und ungestört seinen eigentlichen Plan durchführen zu können.

Das war der Grund, warum er nach Boston gekommen war.

Der Grund, warum gerade diese Stadt sich derzeit mit einem wachsenden Rogueproblem konfrontiert sah. All das war ein Teil seines Plans, Chaos zu stiften, während er ein größeres Ziel verfolgte. Wenn es ihm dabei gelang, die Krieger auszuschalten, umso besser, aber sie abzulenken war ebenso gut. Wenn er erst einmal sein wahres Ziel erreicht hatte, würde selbst der Orden ihm gegenüber machtlos sein.

So sehr ihn der Verlust seines Crimson-Labors auch erboste, machte ihm die Tatsache, dass sich ein anderer seiner Lakaien nicht wie befohlen zurückgemeldet hatte, momentan mehr Sorgen. Marek erwartete Informationen - Informationen von extremer Wichtigkeit, und sein Geduldsfaden war auch im besten Fall schon dünn genug.

Es ging nicht an, dass sich sein Lakai verspätete. Der Mann, den er für diese spezielle Aufgabe auserwählt hatte, war aggressiv und arrogant, aber auch extrem zuverlässig. Alle Lakaien waren das. Ausgesaugt, bis ihnen nur noch ein kleiner Bodensatz an Lebenskraft blieb, unterlagen die mental hörigen Sklaven vollkommen der Kontrolle des Vampirs, der sie gemacht hatte. Nur die mächtigsten Angehörigen seiner Spezies konnten Lakaien erschaffen, und die Gesetze des Stammes hatten diese Praxis schon seit Langem als barbarisch verboten.

Für diese Selbstbeschränkung seiner Spezies, die für Marek einer freiwilligen Kastration gleichkam, hatte er nur Verachtung übrig.

Das war nur ein weiteres Argument dafür, dass im Vampirreich weitreichende Veränderungen fällig waren. Was seine Stammesbrüder brauchten, war eine starke Führung, um ein neues Zeitalter einzuläuten.

Und dieses neue Zeitalter würde ihm gehören.

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